Strukturwandel jetzt – Kein Nochten II
Betroffene und Unterstützer gegen den geplanten Tagebau Nochten II

Offener Brief des Vorsitzenden der Regionalgruppe Weißwasser des NABU

Sehr geehrter Herr Ulbig,

dieses Schreiben ist als persönliche Betrachtung des Vorsitzenden der Regionalgruppe Weißwasser und nicht als offizielle Stellungsnahme des NABU e.V. zu verstehen.

Wir hier in der Lausitz sind den Betrieb von Braunkohletagebauen gewohnt. Es gehört zur Normalität.

Der Begriff „Normalität“ bedeutet jedoch nur, dass es alltäglich und üblich ist, geduldet oder akzeptiert. Viele Dinge, die „normal“ sind, werden zwar von der Mehrheit akzeptiert, sind jedoch für eine Minderheit wegen besonderer Betroffenheit nicht tragbar. Was als „Normalität“ bezeichnet wird, muss also nicht automatisch gut sein oder richtig und schon gar nicht für jeden. So können beispielsweise ein sehr unangenehmer Zustand, gesundheitsschädliche Lebensweisen oder gar ein wiederholtes Auftreten von Katastrophen „normal“, aber bestimmt nicht gut sein.

Für mich jedenfalls gehört das tägliche Anschalten des Computers zur Normalität und ist in den meisten Fällen auch mit positiven Gefühlen (z.B. der Vereinfachung meiner Arbeit) verbunden. Selten wird mir die nachteilige Seite bewusst, dass ich dafür elektrischen Strom verwenden muss, der aus der Braunkohle-Verstromung in den Lausitzer Kraftwerken in das Stromnetz eingespeist wird.

Allen an der Planung und Durchführung eines solchen Vorhabens beteiligten Personen sollte klar sein, dass dieser Eingriff nicht wirklich ausgeglichen werden kann.
Wo denn und wie denn? Es kann immer nur repariert werden, ein Pflaster darüber geklebt werden. Das wird dann zum Beispiel Rekultivierung genannt. Ein dem ursprünglichen Zustand vergleichbares Ökosystem wird erst nach Jahrhunderten entstanden sein. Der mit viel Mühe und einheimischen Baumarten frisch angepflanzte Kippenforst oder gar ein riesiger Tagebaurestsee kann eben nicht gleichwertig gesetzt werden mit in geologischen Zeiträumen gewachsenen Strukturen.

Doch das nehmen die an der Entscheidung beteiligten Menschen in Kauf, indirekt auch die Konsumenten des elektrischen Stroms. Doch durch die räumliche Trennung von der Quelle des Energieträgers Braunkohle und den Konsumenten der elektrischen Energie wird der eigentliche Preis in Form von Lebensraumverlust nur wenigen Menschen bewusst.

Dies zeigt sich schon an der Initiative „pro Braunkohle“ in den Nachbardörfern der von Abbaggerung bedrohten Dörfer. Natürlich auch weniger offensichtliche, aber deshalb nicht minder negative Begleiterscheinungen werden hingenommen, wie die über Jahrzehnte oder eher auch Jahrhunderte verschlechterte Wasserqualität in den entstehenden Kippen, aus denen das extrem saure, von Sulfat- und Eisen belastete Wasser in das umgebende, wieder ansteigende Grundwasser und die Fließgewässer (z.B. Spree) sickert. Nicht zu vergessen ist das völlig gestörte Wasserregime in der Tagebauumgebung, da die Kippe nicht mehr als Grundwasserleiter dienen kann.

Die hinterlassenen Kippen liegen als Narbe der Operation in der geologisch gewachsenen Umgebung. Alte, bereits sanierte Kippen setzen sich plötzlich wieder in Bewegung, als sollten sie wie Fremdkörper vom Organismus abgestoßen werden. Die riesigen Restseen besitzen bei fehlender Fremdwasserversorgung nur dekorativen Wert, da sie für das meiste Wasserleben und zum Baden zu sauer sind. Dies würde für den entstehenden Restsee des Tagebau Nochten zutreffen.

Für den momentanen Gewinn an Wohlstand und Profit wird eine Zukunft geopfert, in der langfristig hohe Sanierungskosten (Sanierung = Heilung) für die Gesellschaft anfallen und sich ein entgangener Nutzen negativ aufsummiert. Die Altlastensanierung hat ohne absehbares Ende bereits Milliarden DM und Euro verschlungen.

Mit der Entscheidung des Regionalen Planungsverbandes zur Fortführung des Tagebaus Nochten in das Abbaufeld II Anfang Oktober wurde ein eindeutiges Signal gegen die klimapolitischen und energiepolitischen Ziele gesetzt. Das bestehende politische System hat sich für den kurzfristigen Profit des bestehenden wirtschaftlichen Systems entschieden, für das vermeidbare Leid von Mensch und Natur, für die nachhaltige Zerstörung von Leben, für die weltweite Verstärkung des Treibhauseffektes.

Sich anders zu entscheiden entspricht nicht der „Normalität“ und erfordert viel Mut. Im Gegensatz zu den Äußerungen der im Vordergrund sichtbaren Politiker handelt es sich auch keinesfalls um eine Entscheidung, die  ausschließlich die betroffene Region und deren Bewohner angeht. Die Emissionen bleiben nicht in der Region, auch nicht die eisenhaltigen und sulfatbelasteten Sickerwässer aus der Bergbaufolgelandschaft. Diese Entscheidung hat deutliche internationale Signal-Funktion. Nach dem Ausstieg aus der Atomenergie zusätzlich den unabwendbaren Ausstieg aus der Kohleverstromung mit der Ablehnung der Tagebauerweiterung zu wagen, wäre wohl zu viel des Guten.
Die Äußerungen vor allem der Bundespolitiker zur Energiewende und der versprochenen CO2-Einsparungen werden angesichts der Realpolitik in Sachsen und Brandenburg konterkariert. Sollten die Worte unserer Politiker keine Verbindlichkeit besitzen?

Der erlebte Entscheidungsprozess hatte unzureichend mit Demokratie zu tun und wies einen Mangel an Transparenz auf. Einwände von Bürgern und der anerkannten Verbände sowie wissenschaftliche Studien wurden für Außenstehende nicht ersichtlich abgewogen und in den zukünftigen Braunkohleplan nicht eindeutig eingearbeitet. Während der öffentlichen Anhörungen herrschte eine Atmosphäre des Drucks, der Einschüchterung, eine Demonstration der Macht gegenüber der Bevölkerung.

Der Eindruck ist evident, dass von Anfang an die Weiterführung des Tagebaus nicht in Frage gestellt wurde, was ein Vertreter des sächsischen Wirtschaftsministeriums tatsächlich so formulierte. Die scheinbare demokratische Entscheidung mit Bürgerbeteiligung diente eher der Zermürbung der Betroffenen als der Information und Teilhabe. Es konnte jedenfalls kein überzeugendes Argument für die Notwendigkeit einer Tagebauerweiterung geliefert werden, nur dubiose Berechnungen des Kraftwerksbetreibers zur vollen Auslastung der Kohlekraftwerke in der Zeit ab 2040 unter Ignorierung der Energiewende und wiederholte Verweise auf die Einhaltung aller gesetzlichen Vorschriften.

Am Ende erwarteten vermutlich auch viele von der Umsiedlung Betroffene diese Entscheidung. Man arrangiert sich eben mit dem Unausweichlichen. Die Resignation ist auch „Normalität“ im Dauerzustand der Existenzangst, was ganz sicher nicht positiv zu bewerten ist.

Diejenigen Betroffenen, welche angesichts der vorliegenden Entscheidung noch nicht völlig frustriert sind und die Hoffnung auf eine andere Entscheidung noch nicht aufgegeben haben, lenken ihren Blick auf die nächste Instanz, das sächsische Innenministerium.
Kann sich das Innenministerium gegen eine Tagebauerweiterung mit den beschriebenen Konsequenzen aussprechen, wo sich die Region doch offenbar in der Mehrheit dafür entschieden hat, wo das Wirtschaftsministerium und der Ministerpräsident eindeutig für die Braunkohle entschieden haben? Diese Hoffnung ist sicherlich nicht realistisch.

Doch was von einer Demokratie verlangt werden kann, ist die überzeugende Darlegung einer Zukunftsvision, welche für die Betroffenen in der Region und über die Grenzen hinaus den nicht einfachen Übergang vom Zeitalter der fossilen Energie zu den erneuerbaren Energien aufzeigt und die Bedeutung der Braunkohle darin begründet. Ein solches, Verantwortung für die Menschen übernehmendes Zukunftsbild vermisse ich.

Im zu beschließenden Braunkohlenplan sind zudem die Belange des Naturschutzes nicht ausreichend beachtet worden, auch wenn die zuständige Untere Naturschutzbehörde hier keine ergänzenden Auflagen eingearbeitet sehen will. Trotz zusätzlicher Flächeninanspruchnahme vergrößert sich nicht der Vorrangbereich für den Naturschutz in der Bergbaufolgelandschaft. Trotz der politischen Agenda zur Bewahrung der Biodiversität ist der spezielle Artenschutz für den Bergbaubetreiber freiwillig und nicht verpflichtend. Sowohl die Gestaltung der Bergbaufolgelandschaft als auch der Umfang des Artenschutzes sind im Vorfeld der Braunkohleplanung mit dem staatlichen und ehrenamtlichen Naturschutz abzustimmen und im Braunkohleplan konkret festzulegen.

Christian Hoffmann
Vorsitzender RG Weißwasser