Strukturnu změnu nětko – žane Wochozy II!
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Energijowy region Łužica – što to poprawom woznamjenja? (němsce)

von Norbert Rost

Wer sich Fluch und Segen der Kohle deutlich vor Augen führen will, sieht sich am besten die Entwicklung der Einwohnerzahlen von Hoyerswerda und Weißwasser an: Jedoch nicht nur die Zahlen seit 1990, sondern die seit 1900.

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Quellen: Statistisches Landesamt, weisswasser.de, wikipedia, regionalentwicklung.de

Die heute Lebenden wissen, dass die beiden Städte in einem Abwärtsstrudel sind, in dem ganze Stadtteile abgerissen wurden, weil niemand mehr darin wohnt. Doch der Abriss von heute ist nur die Konsequenz des Aufstiegs dieser Städte, der in den 1950ern begann. Vorher lebten in Hoyerswerda 7.000 und in Weißwasser 14.000 Menschen, wobei der Krieg deutliche Spuren in die Bewohnerzahlen riss.

Nach dem Weltkrieg brauchte die DDR Energie und fand sie unter der Lausitzer Erde. Zu tausenden wurden Menschen in die Lausitz verfrachtet, um dort Kraftwerke aufzubauen und zu betreiben, in den Tagebauen zu arbeiten oder jene Wohnblocks zu errichten, in denen die Zuzügler wohnten – und die mit der Abwanderung zuerst wieder weggerissen wurden. Binnen 20 Jahren ver-7-fachte sich die Einwohnerzahl Hoyerswerdas bis Mitte der 1970er. Die Zahl der Weißwasseraner ver-3-fachte sich bis in die 1980er. Gemessen an der Einwohnerzahl erreichte Hoyerswerda seine Blüte 1982 mit 74.793 Einwohnern: Nie zuvor und nie danach lebten mehr Menschen in der Stadt, deren Wurzeln in der Langen Straße noch gut zu sehen sind. Weißwasser wuchs bis 1987 auf 37.388 Einwohner an, bis sich der Bedeutungsverlust der Kohle in Abwanderung niederschlug.

Das Ende im Anfang

Nüchtern betrachtet lag der Abstieg der beiden Städte bereits in ihrem Aufstieg begründet. Wie aus dem Nichts wuchsen seit den 1950ern gigantische Kraftwerke und Tagebaue, in denen massenhaft Arbeiter ihr Tagewerk vollbrachten – Arbeiter, die vor Ort nicht zu finden waren und daher von überall her angesiedelt wurden. Rückblickend muss festgestellt werden, dass diese Entwicklung offensichtlich nicht von Dauer war. Es wuchsen keine wirtschaftlichen und sozialen Strukturen, die in der Lage waren, die Menschen auch dann noch in ihrer neuen Heimat zu halten, nachdem die Bedeutung der Kohle nachließ. Sie wurden angelockt und die Größe der Städte rasant aufgeblasen, doch die Blase platzte Mitte der 1980er. Betrachtet man die  Bevölkerungsentwicklung im obigen Diagramm läßt sich förmlich sehen, wie ab den 1950ern etwas passierte, was wir heute eine nicht-nachhaltige Entwicklung nennen können: Eine Entwicklung die keineswegs zu stabilen, selbsttragenden Strukturen führte. Mit dem Höhepunkt der Kohleförderung begannen auch die Strukturen zusammenzufallen, die zur Ausbeutung des fossilen Rohstoffs aufgebaut worden waren. Seitdem schrumpfen beide Städte und werden es weiter tun. Man kann die Vermutung anstellen: Weißwasser und Hoyerswerda kehren wieder zu jenen Einwohnerzahlen zurück, die historisch tragfähig waren – vielleicht zu ihrer Größe aus den 1940ern und jener Bevölkerungzahl, die damals aus den lokalen Ressourcen ernährbar war.

Diese mögliche Zukunft sieht man jedoch nur, wenn man sich die Bevölkerungsentwicklung nicht von Jahr zu Jahr oder seit der „Wende“ anschaut, sondern wenn man sie über einen Zeitraum von 100 Jahren betrachtet.

War's das?

Man könnte diese Entwicklung schlechter realsozialistischer Politik zuschreiben, doch wäre dieses Urteil wenig hilfreich. Schließlich ist Nicht-Nachhaltigkeit auch heute gesellschaftlich akzeptiert. Ehrlich betrachtet müssen wir feststellen: Nicht-Nachhaltigkeit ist sogar gesellschaftliches Programm. Die Problematik, die sich am Aufstieg und Fall der beiden Lausitzer Städte ablesen lässt, droht unserer gesamten Gesellschaft. Denn so wie die DDR auf Kohle als Energieträger setzte und ganze Städte auf ihrer Verfügbarkeit errichtete, so setzen wir heute auf Erdöl und Erdgas – wohl wissend, dass auch diese Energieträger endlich sind.

Zu nahezu jedem Haushalt, egal ob in der Lausitz oder im Elbtal, egal ob in Ost- oder Westdeutschland, gehört wie selbstverständlich ein Automobil. Das Alltagsleben vieler Familien ist völlig auf ein solches Fahrzeug abgestellt. Über 99% der deutschen PKW-Flotte wird mit Mineralöl angetrieben und auch die LKW-Flotte, die Lebensmittel und Waren des täglichen Bedarfs aus teils großen Entfernungen in die Kaufhallen bringt, würde ohne Öl stillstehen. Genau wie Hoyerswerda und Weißwasser auf der endlichen Kohle bis zum Höhepunkt dahingewachsen sind, haben wir heute alle gesellschaftlichen Strukturen auf die endliche Verfügbarkeit von Erdöl und Erdgas gestellt. Nur 13% des Erdgas- und 2% des Erdölbedarfs werden in Deutschland gefördert. Der ganze Rest kommt über lange Pipelines aus der Ferne. Wie anfällig dieses Energieversorgungssystem ist, hat zuletzt die Ukraine-Krise angedeutet.

Was passiert, wenn dieser dauerhafte Zufluss an Energie einmal stoppt? Eine stillstehende LKW-Flotte, die keine Supermärkte mehr befüllt. Arbeiter deren Arbeitsweg fürs Fahrrad zu weit ist. Stromausfälle wegen stillstehender Gaskraftwerke. Würden unsere Dörfer und Städte dann noch funktionieren? Wäre ein lebenswürdiges Dasein dann noch möglich?

Wer denkt schon in Jahrhunderten?

Schaut man sich die Bevölkerungsentwicklung von Hoyerswerda und Weißwasser über einen noch größeren Zeitraum an, so werden wir daran erinnert, wie wenige Menschen vor der Nutzung von Kohle, Öl und Erdgas in unseren Städten lebten. Holz und andere Biomasse, Wind- und Wasserkraft sowie die Muskelkraft von Mensch und Tier waren damals die Haupt-Energiequellen. 1825 war Weißwasser ein Dorf von etwa 400 Einwohnern und in Hoyerswerda lebten etwa 2000 Menschen.

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Quellen: Statistisches Landesamt, weisswasser.de, wikipedia, regionalentwicklung.de

Über einen längeren Zeitraum betrachtet sieht die Einwohner-Kurve aus wie die Spitze in einem EKG. Ein kurzes Aufbäumen des industrialisierten Lebens in der Lausitz. Schafft unsere Gesellschaft es nicht, sich von der Nutzung der endlichen Rohstoffe Öl, Gas, Uran und auch Kohle zu befreien und sie durch längerfristig nutzbare Energiequellen zu ersetzen, könnte ein Rückfall der Bevölkerungszahlen in die vorindustrielle Zeit bevorstehen. Nicht nur in der Lausitz.

Problematisch für die Zukunft könnten die Hinterlassenschaften sein, die durch die Nutzung der fossilen Energieträger entstanden. Genausowenig wie die Organisatoren der DDR-Kohleindustrie anno 1950 über die Zeit nach dem Bedeutungsschwund der Kohle nachdachten, denken wir heute über die langfristige Wirkung unseres Tuns nach. Ölpipelines umschlingen den Planeten wie Krampfadern, wer wird sich darum kümmern, wenn mit Öl kein Geld mehr zu verdienen ist und Energie knapp wird? Dass das Phänomen der „Braunen Spree“ uns die nächsten 100 Jahre beschäftigen wird, gilt bereits als sicher. 100 Jahre zurück war Hoyerswerda ein süßes Städtchen von 6000 Seelen und Weißwasser doppelt so groß. Damals dachte wohl niemand der Bewohner, dass sich ihre Heimat mal so stark verändern würde, wie das in den 100 Jahren danach geschah. Wenn wir heute „Energieregion Lausitz“ sagen, tun wir das im Bewusstsein dessen, dass unsere heutigen Entscheidungen auch in 100 Jahren noch spürbar sein werden?


Diplom Wirtschaftsinformatiker Norbert Rost betreibt das »Büro für postfossile Regional­entwicklung« in Dresden, www.regionalentwicklung.de