Dyrbimy wobšěrnišu diskusiju zahibać! (nĕmsce)
Friederike Böttcher: Herr Dyrlich, Sie haben am 12. Mai als Vertreter des Sorbischen Künstlerbundes dem Bürgermeister von Schleife, Herrn Bork, in einer Aktion eine Unterschriftenliste gegen Nochten II überreicht. Warum?
Benedikt Dyrlich: Seit Weihnachten letzten Jahres haben wir, der Sorbische Künstlerbund, viele Freunde aus Politik und Kunst, aus dem In– und Ausland, gebeten, einen Brief an Minister Gabriel zu unterstützen. In diesem Brief geht es um die Novellierung des Bergbaurechtes in Deutschland. Wir sind der Meinung, dass der Einzelne, aber vor allem auch die sorbische Gemeinschaft das Recht haben muss, bestimmte Einsprüche zu erheben. Diesem Anliegen haben sich viele Menschen, die einen Namen in der Region und darüber hinaus haben, angeschlossen, z. B. der Maler Georg Baselitz oder der Präsident der Akademie der Künste Klaus Staeck. Diese gesammelten Unterschriften haben wir an diesem Tag dem Bürgermeister von Schleife übergeben. Diese Aktion war ein Akt der Solidarität. Wir wollten hiermit den Bürgermeister als Vertreter einer derart betroffenen Gemeinde über unser Anliegen informieren.
Wie reagierte Herr Bork?
Abgesprochen war mit Herrn Bork, dass wir die Übergabe öffentlich machen können und ich mich freue, wenn der Gemeinderat ebenfalls eingeladen ist. Mehrere Bürgerinnen und Bürger sowie die Presse haben mich begleitet. Plötzlich meinte Herr Bork aber, dass eine öffentliche Aktion nicht möglich sei. Der Gemeinderat war auch nicht anwesend. So kam es nur zu einer stillen Übergabe. Diese Wendung hat mich verwundert.
Der Bürgermeister hat schließlich versprochen, dass wir unser Anliegen in einer öffentlichen Sitzung des Gemeinderates noch einmal darlegen können. Ich warte nun seitdem auf eine Einladung in den Gemeinderat.
Wie sehen Sie die Situation in der Lausitz?
Schleife ist in Gefahr, seine natürlichen und kulturell historisch gewachsenen Eigentümlichkeiten zu verlieren. Man kann nicht eine Nachfolgelandschaft konstruieren, die natürlich sein wird, wenn große Teile der Gemeinde devastiert werden sollen. Es würde eine künstliche Welt werden. Wollen wir in solchen Satellitenstädten leben?
Die Menschen wollen in wirtlichen Landschaften leben. Die Menschen, die bei Vattenfall in der Führungsspitze sitzen, wollen auch nicht in einer unwirtlichen Landschaft leben. Die werden nicht in die Nachfolgelandschaft ziehen, sondern ein Haus in einer schönen und lebendigen Landschaft haben.
Wer seinen Kindern wirtliche Landschaften übergeben möchte, der muss sagen: Wir dürfen das nicht mehr erlauben, dass Politik und Industrie die Wirtlichkeit unsere Region so radikal zerstören.
Wenn wir ehrlich sind, haben wir schon jetzt das Problem, dass unsere Kinder, wenn sie bestimmte Berufe haben wollen, hier keine Zukunft haben werden.
Wie meinen Sie das?
Ich habe niemals daran geglaubt, dass man im Lausitzer Seenland Massentourismus produzieren kann. Wir werden hier auch kein Mallorca draus machen oder das an Kultur bieten können, was zum Beispiel Klagenfurt und seine Umgebung bieten können. Oder gar Dresden. Wenn ich von Bautzen aus losfahre Richtung Beeskow und Buckow, beginne ich in einer halbwegs idyllischen Landschaft und komme dann durch total verwüstete, kümmerlich wachsende Landstriche. Da ist nicht nur die Verockerung. Schon in dem Film »Struga« von Konrad Hermann wurde schon in den 70ern gewarnt, dass die Mittellausitz sowie der Spreewald die Wasserproblematik zu spüren bekommen wird, wenn wir mit dem Raubbau so weitermachen. Schon damals wollte die dominante Politik und eine unmenschliche Planwirtschaft solche Kritik nicht hören.
Ich komme selbst aus der Politik und weiß daher, wie viel in Politik und Wirtschaft gelogen wird. Die meisten Menschen, auch in der Politik, hinterfragen nicht: Muss es denn wirklich so kommen? Gibt es nicht ernsthafte Alternativen zur Kohleindustrie hier? Dort, wo die Industrie war, ist die Lausitz zerstört.
Schon vor 25 Jahren gab es Experten, auch aus der Block-CDU , die meinten, dass uns das Wasserproblem mindestens 100 Jahre verfolgen wird.
Was wollen Sie mit dem offenen Brief erreichen?
Es gibt keinen ernsthaften Dialog zwischen Wirtschaft, Politik und Umwelt über eine moderne, natur- und kulturfreundliche Industriepolitik. Neben der CDU, FDP und zum Teil sogar die LINKE wirkt auch meine SPD in Sachsen und Brandenburg in diesem Zusammenhang insgesamt mehr als altmodisch, ja gefährlich rückwärtsgewandt. Deswegen fordern wir in unserem Brief an Gabriel einen Dialog und eine Diskussion um das Bergbaurecht. Wir wollen verdeutlichen, warum für uns – aus der Perspektive der sorbischen Kultur und Sprache – die natürlich gewachsenen dörflichen Räume und Gemeinschaften so bedeutsam sind.
Vor unseren Augen stirbt eine Weltkultursprache, ein Weltkulturerbe! Warum ist das so?
Wir haben damals in die Sächsische Verfassung den Artikel 10 reingeschrieben: Historisch gewachsene Siedlungsräume sollen geschützt werden. Das ist ein Staatsziel.
Und diese Verfassung gilt auch für einen Kommunalpolitiker. Wenn man sich aber die Politik der CDU, FDP, SPD und der LINKEN hier und in Brandenburg ansieht, dann erscheint es so, als ob die Verfassung nicht überall gültig ist! Schlimmer noch, wer vor der Devastierung der Lausitz warnt, ist wie in der DDR Diffamierungen und Ausgrenzungen ausgesetzt, egal ob in der Schule oder in der Kirche. Das Gute ist aber, dass uns die demokratischen Verfassungen auch und vor allem Meinungsfreiheit und Demonstrationsrechte einräumen. Das haben wir vor 25 Jahren auch in Sachsen und Brandenburg erkämpft. Auch wir Sorben haben diese grundlegenden Freiheiten. Trotzdem gibt es Kräfte aus alten Zeiten, sogar unter uns Sorben in der Lausitz.
Wie kann ich mir das vorstellen?
Ich und andere sorbische Vertreter werden beispielsweise in der Domowina kritisiert, zum Teil sogar hinterhältig und undemokratisch ausgegrenzt – wie schon in der DDR. Der heutige Geschäftsführer der Domowina unterstützte schon in der DDR die Kohlepolitik der SED in der Domowina, deren Sekretariat – dem inneren Zirkel – er selbst angehörte. Während Jurij Koch und weitere Schriftsteller, darunter ich, auf dem Schriftstellerkongress der DDR 1987 den Raubbau auch gegenüber uns Sorben heftig in Frage stellten, diktierte die Spitze der Domowina zusammen mit der SED noch im Frühjahr 1987 auf ihrem Bundeskongress ihren Mitgliedern, dass sie sich völlig der staatlichen Ausbeutung und Verwüstung der Lausitz unterwerfen sollen. Wer eine andere Meinung damals in der Öffentlichkeit als die DomowinaSpitze vertrat, hatte keine Chancen auf Mitgestaltung, Mitverantwortung in dieser Angelegenheit. Heute werden wir madig gemacht, weil wir eine gewisse kritische Haltung haben. Sehr viele in der Domowina würden den Brief an Gabriel gern öffentlich mit unterstützen, sagen aber, sie trauen sich nicht, weil sie den kollektiven Druck der aktuell herrschenden Führungsschicht in der Domowina nicht aushalten würden.
Wie stellen Sie sich den Dialog zwischen den verschiedenen Interessengruppen vor?
Ich erwarte von der Politik, dass man nicht diejenigen ausgrenzt und diffamiert, die eine kritische Haltung zur Industriepolitik einnehmen. Das sollte nach 25 Jahren Demokratie nicht mehr stattfinden! Wir haben nie gesagt, wir wollen keine Arbeitsplätze in der Lausitz, sondern wir sprechen von einem Umbau der Industriepolitik.
Wenn ich nach Schleife komme, habe ich das Gefühl, Herr Hermasch und andere sind gar nicht gewillt, diese unsere Meinung mal zu hören oder darüber zu diskutieren, ob denn das Staatsziel in ihrer Gemeinde, in ihrem Landkreis umgesetzt wird.
Am 1. Oktober 2013 entschieden sich der Braunkohleausschuss und die Verbandsversammlung endgültig für Nochten II. Trotz mehrfacher Aufforderung durch Tagebaubetroffene verkündete Manfred Hermasch als beratendes Mitglied für die Domowina auf dieser Sitzung nicht den Beschluss der Domowina gegen Nochten II vom September 2013. Die Domowina hat bisher auf dieses Verhalten keine Reaktion gezeigt. Was halten Sie davon?
Den Mitgliedern der Domowina und den Menschen der Lausitz ist bis heute nicht klar, welche Position der Bundesvorstand und der Vorsitzende der Domowina in dieser Frage wirklich einnehmen. Es gibt bis heute keine klare Linie in der Auseinandersetzung mit dem kapitalistischen Staatskonzern Vattenfall. Es gibt angeblich Vereinbarungen zwischen Vattenfall und der Domowina, aber wie diese konkret aussehen, wer über die Geschenke von Vattenfall an die Domowina entscheidet, diese Gelder kontrolliert, das wissen wir als Mitglieder der Domowina nicht. Der Sorbische Künstlerbund hat sich diesbezüglich an den Vorsitzenden Dawid Statnik gewendet und eine Antwort erhalten, aus der wieder keine klaren Informationen hervorgehen. So besteht weiterhin der Verdacht, dass bestimmte Domowina-Verbände – wie der Kreisverband, dem Herr Hermasch angehört – in undurchsichtige Transaktionen mit Vattenfall verwickelt sind. Den sollten die Domowina und Vattenfall schnellstens mit Transparenz und klaren Informationen aus der Welt schaffen.
Benedikt Dyrlich (geb. 1950 in Neudörfel/Nowa Wjeska) ist sorbischer Dichter und Publizist, Politiker (Mitbegründer der Sorbischen Volksversammlung 1989 zur Erneuerung der Domowina, MdL der SPD 1990–94), Chefredakteur der Serbske Nowiny (1995–2011) und Vorsitzender des Sorbischen Künstlerbundes (seit 1996). Er erhielt 2010 die Verfassungsmedaille für sein Engagement um die in Sachsen lebenden Sorben sowie 2011 den Ćišinski-Preis, die höchste Auszeichnung um Verdienste der sorbische Literatur und Kunst.